Der Widerspruch

Newton und Maxwell schufen – in einem Zeitabstand von zwei Jahrhunderten Theorien, die jeweils einen großen Erfahrungsbereich beschreiben: mechanische Bewegungen mit kleinen Geschwindigkeiten (bei Newton) beziehungsweise Wellenphänomene mit der höchsten bekannten Geschwindigkeit (bei Maxwell). Obwohl beide Theorien in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich gültig sind, erhebt sich die Frage, ob sie sich miteinander vereinbaren lassen oder ob sie zu einem Widerspruch führen.

Rückblickend ist klar, dass ein unvermeidbarer Widerspruch absehbar war. In der Newtonschen Mechanik wird die Zeit als etwas Absolutes[1] aufgefasst – in dem folgenden Sinne: Zwei Beobachter werden demselben Ereignis stets denselben Zeitpunkt zuordnen, unabhängig von Abstand und Geschwindigkeit, die sie relativ zueinander haben.

In dieser Vorstellung steckt implizit die Annahme, dass sich beide Beobachter in jedem Moment über Signale verständigen können, die sich mit unendlicher Geschwindigkeit instantan – ausbreiten. Nach all unseren bisherigen Beobachtungen gibt es aber keine größere Geschwindigkeit als die Lichtgeschwindigkeit, die nach Maxwells Theorie einen endlichen konstanten Wert hat. (Verglichen mit alltäglichen Geschwindigkeiten ist dieser Wert so groß, dass Lichtstrahlen wie instantane Signale erscheinen.) Wenn es tatsächlich in der Natur keine unendlichen Signalgeschwindigkeiten gibt, ist die Newtonsche Mechanik in ihren Grundfesten erschüttert.

Unter solchen Bedingungen sollte es jedoch zumindest im Prinzip möglich sein, experimentell einen Widerspruch zu finden. In einem solchen Experiment müssten sich Körper so schnell bewegen, dass ihre Geschwindigkeiten im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit nicht mehr vernachlässigbar klein sind; die Lichtgeschwindigkeit könnte dann nicht mehr als unendlich groß betrachtet werden. So hohe Geschwindigkeiten sind aber unter normalen Umständen nicht leicht zu erreichen, und noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts schien es kaum möglich, die Theorien von Newton und Maxwell vergleichend zu konfrontieren.

Aber gerade eine solche Konfrontation war – von der Allgemeinheit unbemerkt – bereits damals in den Vorstellungen eines 16jährigen Schulversagers im Gange, der von seinen Erziehern als zurückgeblieben und mittelmäßig betrachtet wurde. Das war Albert Einstein. Er wurde in Maxwells Todesjahr 1879 in Ulm geboren und wuchs in München auf. Er kam zunächst auf eine katholische Grundschule, wo ihn die strenge Disziplin und der geistlose Unterricht abstießen. Mit zehn Jahren wechselte er auf das Luitpold-Gymnasium; aber auch dort besserten sich seine Leistungen nicht. Er war wie Maxwell – anders als andere.

Seine intellektuelle Neugier wurde zum ersten Mal geweckt, als er – im Alter von fünf Jahren – einen Kompass geschenkt bekam. Mit zwölf Jahren stieß er auf die Euklidische Geometrie, von deren Inhalt er tief beeindruckt war. In einem kleinen Geometriebuch, das in seine Hände geriet, bemerkte Einstein dann, wie er es ausdrückte, „Aussagen..., (die) – obwohl an sich keineswegs evident – doch mit solcher Sicherheit bewiesen werden konnten, dass ein Zweifel ausgeschlossen zu sein schien. Diese Klarheit und Sicherheit machten einen unbeschreiblichen Eindruck auf mich.“ Das also war der Schüler, der mit 15 Jahren ohne Abschlusszeugnis die Schule verlassen musste, weil er nichts leiste und seine Gleichgültigkeit demoralisierend wirke. Nachdem er sich selbst mit Mathematik und Physik vertraut gemacht hatte, schrieb Einstein sich mit 17 Jahren an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich ein.

Zu dieser Zeit hatte er bereits eine grundlegende Erkenntnis gewonnen, die er selbst wie folgt beschrieb: „... ein Paradoxon, auf das ich schon mit 16 Jahren gestoßen bin: Wenn ich einem Lichtstrahl nacheile mit der Geschwindigkeit c (Lichtgeschwindigkeit im Vakuum), so sollte ich einen solchen Lichtstrahl als ruhendes, räumlich oszillatorisches elektromagnetisches Feld wahrnehmen. So etwas scheint es aber nicht zu geben, weder auf Grund der Erfahrung noch gemäß den Maxwellschen Gleichungen.“

Hier macht Einstein zum ersten Mal von einem Gedankenexperiment Gebrauch. Die Vorstellungskraft kann praktische Hindernisse überwinden und Theorien an den äußersten Grenzen ihres Anwendungsbereiches untersuchen.

In der Newtonschen Mechanik sind beliebige Geschwindigkeiten zugelassen; jeder gleichförmig bewegte Körper kann durch einen anderen eingeholt werden, so dass die Relativgeschwindigkeit zwischen beiden anschließend Null beträgt. Ein alltägliches Beispiel dafür ist etwa die Verbrecherjagd in einem amerikanischen Krimi, wenn ein Polizeifahrzeug den Wagen der Verdächtigen auf der Autobahn einholt; oder man kann ein Fahrrad an einem Flussufer beobachten, das auf gleicher Höhe mit einem langsamen Boot fährt. Einstein wandte die Newtonsche Vorstellung von Relativgeschwindigkeiten auf das Licht an. Es sollte danach für einen. Beobachter prinzipiell möglich sein, einen Lichtstrahl einzuholen und sich mit Lichtgeschwindigkeit zu bewegen. Ein solcher Beobachter würde die Lichtwelle zwar im Raum schwingen sehen, könnte aber nicht wahrnehmen, dass sie sich räumlich fortpflanzt. Nach Maxwells Theorie wird diese Situation aber niemals eintreten, da sich Licht immer mit derselben Geschwindigkeit c ausbreitet – entsprechend dem Verhältnis von elektromagnetischer und elektrostatischer Ladungseinheit.

Und genau hier liegt der Konflikt zwischen Newtons und Maxwells Theorie. Welche ist falsch? Dabei bedeutet „falsch“, dass die Theorie außerhalb ihres Geltungsbereiches, in dem sie vorzüglich funktioniert, zusammenbricht. Wie schon erwähnt, wird die Newtonsche Mechanik in ihren Fundamenten erschüttert, wenn die Lichtgeschwindigkeit entsprechend der Maxwellschen Voraussage endlich und unveränderlich ist. Aber wie zuverlässig ist diese Vorhersage Maxwells?

Vielleicht hängt die Geschwindigkeit des Lichtes, das von einem bewegten Körper abgestrahlt wird, von der Geschwindigkeit dieses Körpers ab. In unserem Beispiel der Verbrecherjagd würde bei einem Schusswechsel die Geschwindigkeit einer in Fahrtrichtung abgefeuerten Gewehrkugel um den Betrag der Autogeschwindigkeit erhöht und umgekehrt die Geschwindigkeit einer nach hinten abgefeuerten Kugel um den gleichen Betrag verringert. Das jedenfalls ergibt sich aus Newtons Theorie - insbesondere auch für die Lichtteilchen. Falls sich Licht tatsächlich so verhielte, stünde die Newtonsche Mechanik auf festem Boden, aber ob es so ist, lässt sich nur durch Experimente entscheiden.

Das Relativitätsprinzip

Kehren wir zu Einsteins Gedankenexperiment zurück und stellen wir uns Astronauten in einer schnellen Rakete vor, die versuchen, Lichtpulse einzuholen, die von einer Blitzlampe auf der Erde ausgehen. Nachdem die Rakete eine ansehnliche Geschwindigkeit erreicht hat, blicken die Astronauten zurück und sehen, wie sich Erde und Lampe immer rascher entfernen. Die Lampe ist für sie also eine bewegte Lichtquelle. Das Licht bewegt sich ungeachtet all ihrer Bemühungen, es einzuholen, mit konstanter Geschwindigkeit c.

Aber halt! Mit welchem Grund können wir annehmen, dass die hohe Geschwindigkeit der Astronauten unwichtig sei? Wir wissen bereits, dass die Bewegung einer Lichtquelle relativ zu einem Beobachter keinen Einfluss auf die Lichtgeschwindigkeit hat. Gilt dies auch für die Bewegung des Beobachters relativ zur Lichtquelle? Tatsächlich folgt aus den Gesetzen der Newtonschen Mechanik für bewegte Körper, dass beide Situationen bei derselben Relativgeschwindigkeit äquivalent sind. Das ist die Aussage des Relativitätsprinzips, das Galilei aufgestellt hat.

Gilt dieses Prinzip auch für Wellenbewegungen wie Licht? Schauen wir uns dazu zunächst eine vertraute Art von Wellen an, wie sie zum Beispiel auf einer Wasseroberfläche durch ein fahrendes Boot oder einen fallenden Stein hervorgerufen werden.

Für einen ruhenden Beobachter breiten sich alle Wasserwellen mit derselben charakteristischen Geschwindigkeit aus – unabhängig davon, ob sich die Quelle dieser Wellenbewegung parallel zur Oberfläche bewegt oder nicht. Ein bewegter Beobachter sieht jedoch eine andere Geschwindigkeit, und zwar eine größere, wenn er sich der Quelle nähert, und eine geringere, wenn er sich von ihr entfernt. Es ist auch möglich, die Wellen einzuholen und sich mit der gleichen Geschwindigkeit zu bewegen wie sie. Man denke nur an einen Surfer und dessen Balanceakt in der Nähe eines Wellenberges. Es gibt noch eine andere Möglichkeit: Es kann Wind aufkommen und das Wasser vor sich hertreiben. Wellen, die sich in Windrichtung bewegen, werden dadurch schneller, während sich andere, die gegen den Wind laufen, verlangsamen.

Wie die Beispiele zeigen, genügt es nicht, allein die Relativbewegung zwischen Quelle und Beobachter zu betrachten: Darüber hinaus spielt auch das Medium, in dem sich die Wellen ausbreiten, eine Rolle. Natürlich ist hier wiederum nur die Relativbewegung ausschlaggebend – nur im Hinblick auf Quelle, Beobachter und Medium. Die mechanistische Interpretation der Newtonschen Mechanik, die fast das gesamte 19. Jahrhundert beherrschte, ließ kaum eine Diskussion darüber aufkommen, ob sich Lichtwellen nur in einem Medium bewegen können. Wo Wellen sind – sprich Schwingungen –, da muss auch etwas sein, das schwingt. Diesem schwingenden Etwas gab man den Namen Äther.

Der Äther

Maxwell hat zur historischen Tradition, für alles mögliche einen "Äther" zu erfinden, folgendes gesagt: „Äther wurden erfunden, damit die Planeten darin schwimmen können, um elektrische Atmosphären und magnetische Ausstrahlungen zu beherbergen, um Empfindungen von einem Teil unseres Körpers zu einem anderen zu übertragen und so fort, bis der ganze Raum mit drei oder vier verschiedenen Äthern erfüllt war ... Der einzige Äther, der überlebt hat, wurde von Huygens eingeführt, um die Fortpflanzung des Lichtes zu erklären. (Er wurde im Zuge des Wiederauflebens der Wellentheorie des Lichtes durch Thomas Young zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter dem Namen luminophorer Äther wieder eingeführt.) ... Die Eigenschaften dieses Mediums ... erwiesen sich als genau die, welche man zur Erklärung elektromagnetischer Phänomene benötigte.“[2]

Die Eigenschaften dieses Äthers waren ebenso eigenartig wie wunderbar: Er musste dicht und elastisch genug sein, um die Fortpflanzung elektromagnetischer Schwingungen jeder Frequenz zu gestatten, durfte aber auf bewegte Materie keinen Widerstand ausüben. Maxwell scheint eine ambivalente Haltung eingenommen zu haben, was die reale Existenz des Äthers betrifft. Er benutzte zwar diesen Begriff, kennzeichnete die Sache aber als „äußerst mutmaßliche wissenschaftliche Hypothese“. Seine Beschreibung des Lichtes als „Wellen, die sich durch das elektromagnetische Feld bewegen“ klingt sehr modern. Maxwell schlug auch bereits ein entscheidendes Experiment vor, mit dem sich die Ätherhypothese überprüfen ließ. Die Grundüberlegungen wollen wir im folgenden skizzieren.

Zunächst müssen wir die Frage untersuchen, ob die Erde den Äther bei ihrer Bahnbewegung mitzieht oder ob der Äther durch die Erde dringt „wie der Wind durch ein Wäldchen“ – um ein Bild von Thomas Young zu gebrauchen. Nun zeigt die beobachtete Aberration des Sternlichtes (siehe Exkurs am Ende des Textes), dass das Licht eines Sterns geradlinig zur bewegten Erde läuft. (Als Aberration bezeichnet man dabei die scheinbare Verschiebung von Sternpositionen im Laufe eines Jahres, die durch die Bahnbewegung der Erde bedingt ist.) Der Äther, in dem sich das Licht fortpflanzt, wird also nicht von der Erde mitgezogen. Er verhält sich vielmehr in bezug auf die Erde „wie der Wind“.

Ähnlich wie Bewegungen der Luft die Schallgeschwindigkeit verändern, sollte der Ätherwind die Lichtgeschwindigkeit in „Windrichtung“ verändern. (Diese Richtung ist der Erdbewegung im Äther gerade entgegengesetzt.) Wie Maxwell bemerkte, ließe sich eine solche Änderung der Lichtgeschwindigkeit messen, wenn zwei Lichtstrahlen verschiedene Strecken gleicher Länge passieren. Da sich die Geschwindigkeit des Lichtes je nach Raumrichtung auf unterschiedliche Weise ändert, sollten unterschiedliche Laufzeiten entstehen. Um diese Zeitdifferenz zu messen, war jedoch eine Genauigkeit von Eins zu 200 Millionen erforderlich. (Ich komme darauf zurück.) Maxwell zog deshalb den Schluss, dass dieses Experiment undurchführbar sei.

In seinem letzten Lebensjahr, 1879, stellte Maxwell in einem Brief dem Astronomen David Todd (1 855 - 1939) am Nautical Almanac Office in Washington die Frage, ob die Daten über die Finsternisse der Jupitermonde genau genug seien, um die Bewegung der Erde durch den Äther festzustellen. In diesem Brief erwähnt er die „Unmöglichkeit“, ein entsprechendes optisches Experiment auf der Erde durchzufahren. Aber ein Kollege von Todd erfuhr von dem Brief: Albert Michelson (1852 – 1932), der bereits die bis dahin genaueste Messung der Lichtgeschwindigkeit in Luft gemacht hatte.

Eine Analogie

Textfeld:  Michelson nahm die Herausforderung an, das „unmögliche“ optische Experiment in Angriff zu nehmen. Bevor wir die entscheidende Idee diskutieren, die jene phantastische Genauigkeit von Eins zu 200 Millionen in den Bereich des Möglichen rücken ließ, wollen wir eine einfache Analogie betrachten, um Maxwells Plan des Experiments anhand eines alltäglichen Beispiels zu verdeutlichen. Dazu ersetzen wir die Lichtgeschwindigkeit im Äther durch eine konstante Geschwindigkeit eines Flugzeugs in ruhiger Luft. Und an die Stelle des Ätherwindes, der die Lichtgeschwindigkeit ändert, tritt der in der hohen Atmosphäre herrschende Strahlstrom (Jetstream), der die Geschwindigkeit von Flugzeugen beträchtlich verändert. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass sich der Strahlstrom mit konstanter Geschwindigkeit in eine bekannte Richtung bewegt.

Dann lautet unser Problem: Man ermittle die Geschwindigkeit des Strahlstromes, indem man zwei Flugzeuge in verschiedener Richtung Strecken gleicher Länge zweimal durchfliegen lässt und die Abweichung der Flugzeiten bestimmt.

Ein Flugdienstleiter des Los Angeles International Airport geht die Sache folgendermaßen an: Er lässt zwei Flugzeuge zur gleichen Zeit starten, das eine in östlicher Richtung nach Dallas, das andere in nördlicher Richtung nach Calgary. Beide Städte sind etwa gleich weit von Los Angeles entfernt. Den Piloten wurde aufgetragen, ihr jeweiliges Ziel anzufliegen und sofort zurückzukehren. Während des Fluges sollte eine konstante Eigengeschwindigkeit eingehalten werden.

Der Flugdienstleiter kann dann feststellen, welches Flugzeug wieder zuerst in Los Angeles eintrifft, und den zeitlichen Vorsprung vor dem anderen Flugzeug bestimmen, um die Geschwindigkeit des Strahlstromes zu berechnen.

Textfeld:  Um zu sehen, wie dies im einzelnen vor sich geht, nehmen wir an, dass sich jedes Flugzeug mit einer Eigengeschwindigkeit von genau 1000 Kilometern pro Stunde bewegt und der Strahlstrom nach Osten gerichtet ist und eine Geschwindigkeit von 600 Kilometern pro Stunde hat. Betrachten wir zunächst den Piloten, der nach Osten fliegt. Relativ zum Erdboden werden seine 1000 Kilometer pro Stunde um die 600 Kilometer pro Stunde des Strahlstromes erhöht, womit insgesamt seine Bodengeschwindigkeit auf dem Wege von Los Angeles nach Dallas 1600 Kilometer pro Stunde beträgt. Er erreicht Dallas nach einer gewissen Zeitspanne, die wir als eine Zeiteinheit festlegen wollen. Auf seinem Rückflug hat er gegen den Strahlstrom anzukämpfen, seine Bodengeschwindigkeit beträgt jetzt nur 1000 – 600 = 400 Kilometer pro Stunde – ein Viertel der Geschwindigkeit auf dem Hinflug. Deshalb dauert der Rückflug viermal so lange, also vier Zeiteinheiten. Das Flugzeug war somit beim Hin- und Rückflug insgesamt 4 + 1 = 5 Zeiteinheiten unterwegs.

Textfeld:  Wie verhält es sich mit dem Flug nach Calgary? Das Flugzeug, das sich bei ruhiger Luft mit 1000 Kilometern pro Stunde bewegt, wird von dem Strahlstrom mit seinen 600 Kilometer pro Stunde nach Osten abgedrängt. Um die Nordrichtung beizubehalten, muss der Pilot etwas gegen den Wind fliegen. Er fliegt mit einer Eigengeschwindigkeit von 1000 = 5 x 200 Kilometern pro Stunde in nordwestlicher Richtung, so dass die Kombination dieser Geschwindigkeit mit der ostwärts gerichteten Geschwindigkeit des Strahlstromes von 600 = 3 x 200 Kilometern pro Stunde eine genau nach Norden gerichtete Bodengeschwindigkeit von 4 x 200 = 800 Kilometern pro Stunde ergibt. (Dieses Zahlenverhältnis 3:4:5 der Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks ist das einfachste Beispiel des pythagoräischen Lehrsatzes, der den zwölfjährigen Einstein so fesselte.) Auf dem Rückflug von Calgary nach Los Angeles verhält es sich ähnlich. Der Pilot muss in südwestlicher Richtung gegen den Wind anfliegen, und seine Bodengeschwindigkeit beträgt wiederum 800 Kilometer pro Stunde. Mit anderen Worten: Das zweite Flugzeug hat in beiden Richtungen eine Bodengeschwindigkeit, die genau halb so groß ist wie die des ersten Flugzeugs auf dem Weg von Los Angeles nach Dallas, so dass es zwei Zeiteinheiten für jeden Weg benötigt, also vier Zeiteinheiten für den gesamten Flug.

Wir sehen jetzt, was herauskommt. Der Rundflug senkrecht zur Richtung des Strahlstromes dauert nur vier Zeiteinheiten, während der Rundflug parallel zu diesem Strom fünf Zeiteinheiten benötigt. Unser Flugdienstleiter ersieht aus der Abweichung, dass es einen Strahlstrom gibt, und aus dem Verhältnis der Flugdauern von 4:5 kann er für das Verhältnis von Strahlstrom Geschwindigkeit zu Flugzeuggeschwindigkeit den Wert 3:5 ermitteln.

Erinnern wir uns an die Absicht, die hinter dieser Analogie steckt. Die beiden Flugzeuge repräsentieren zwei Lichtstrahlen, die sich mit der Geschwindigkeit c im Äther bewegen. Der Strahlstrom, der die Bodengeschwindigkeit der Flugzeuge ändert, steht für den Ätherwind, der die von der Erde aus gemessene Lichtgeschwindigkeit verändert. Erinnern wir uns weiterhin daran, dass sich die Erde durch den Äther bewegen soll. Der Vergleich der beiden Flugzeiten für zwei senkrecht aufeinander stehende Flugstrecken ist ein Versuch, die Geschwindigkeit des mit der Erdbewegung verknüpften Ätherwindes zu ermitteln. In unserem einfachen Zahlenbeispiel erhielten wir als Verhältnis von Strahlstromgeschwindigkeit (v) zu Flugzeuggeschwindigkeit in ruhender Luft (c) den Wert v/c=3/5. In Michelsons Experiment ist das Verhältnis der Erdgeschwindigkeit durch den Äther (v) zur Lichtgeschwindigkeit (c) um vieles kleiner als Eins. Das Verhältnis der Flugzeiten senkrecht und parallel zum Strahlstrom weicht dann nur um einen winzigen Betrag von Eins ab. Dieser Betrag entspricht näherungsweise ½ (v/c)2. (Diese Näherung führt noch für v/c=3/5 zu annehmbaren Ergebnissen.)

Die Idee

Worin bestand nun die entscheidende Idee, die Michelson bewog, das unmögliche Experiment zu versuchen? Wir wissen bereits, dass Maxwell eine unbedingt notwendige Messgenauigkeit von Eins zu 200 Millionen ermittelt hatte. Wir können darin den Wert von ½ (v/c)2 wieder erkennen, wenn wir für v die Bahngeschwindigkeit der Erde von 30 Kilometern pro Sekunde ansetzen – was einem Zehntausendstel der Lichtgeschwindigkeit c entspricht. Der Laufzeitdifferenz der beiden Lichtstrahlen entspricht eine Längendifferenz; sie ist durch den zeitlichen Vorsprung des zuerst zurückkehrenden Strahls gegeben. Bei einer Apparatur mit Abmessungen von, sagen wir, 20 Metern, müssten bei dem Experiment Strecken von einem Hunderttausendstel Zentimeter messbar sein – das entspricht etwa einem Fünftel der Wellenlänge von sichtbarem Licht.

Textfeld:  Das Stichwort "Licht" brachte Michelson auf die entscheidende Idee: Die Wellennatur des Lichtes und insbesondere seine Interferenzeigenschaften ließen sich für Messungen im Längenbereich von Bruchteilen einer Wellenlänge nutzen. In seinem Experiment fällt ein Lichtstrahl auf eine halbverspiegelte Glasplatte, die ihn in zwei Teilstrahlen aufspaltet: einen durchgehenden und – senkrecht dazu – einen reflektierten Strahl. (Diese Anordnung entspricht dem Start der beiden Flugzeuge.) Die Strahlen treffen, nachdem sie die gleiche Distanz durchlaufen haben, auf zwei Spiegel, wo sie reflektiert werden und sich dann bei der halbverspiegelten Platte wieder zu einem Strahl vereinigen. (Die Flugzeuge kehren an ihrem jeweiligen Ziel um und treffen schließlich wieder am Ausgangspunkt ein.) Dieser vereinigte Strahl fällt in ein Fernrohr, das auf die überlagerten Bilder der Lichtquelle gerichtet ist. (Die Zeitdifferenz zwischen den Flügen wird gemessen.) Im Fernrohr wird die Zeitdifferenz anhand einer Interferenzfigur sichtbar.

In Michelsons Apparatur sind die beiden überlagerten und interferierenden Lichtstrahlen räumlich etwas gegeneinander versetzt, da sie von verschiedenen Seiten der verspiegelten Plattenseite ausgehen. Diese Verschiebung ruft im Fernrohr ein Interferenzbild hervor, das aus einer Folge von dunklen und hellen Lichtstreifen besteht.

Die Lage dieser Streifen innerhalb der Interferenzfigur hängt von der Laufzeitdifferenz der beiden Strahlen ab. Um diese Differenz erfassen zu können, muss man die relativen Laufzeiten der beiden Strahlen ändern, so dass sich die Interferenzstreifen messbar verschieben. Eine Änderung der Laufzeit lässt sich erreichen, indem man einen Strahl relativ zum anderen bewegt. Wird dabei ein Strahl relativ zum anderen gerade um eine Wellenlänge verschoben, „wandert“ das Interferenzbild genau um einen Streifen weiter und unterscheidet sich deshalb nicht von dem ursprünglichen Bild. Für kleinere Verschiebungen um den Bruchteil eines Streifens ist diese Methode also bestens geeignet und das heißt, für Abstandsänderungen um den Bruchteil einer Wellenlänge.

So weit, so gut. Aber wie lässt sich die relative Laufzeit beider Strahlen verändern? Erinnern wir uns an die Flugzeuge. Angenommen, an irgendeinem Tag weht der Strahlstrom gerade nach Norden statt nach Osten. An einem solchen Tag würde das Flugzeug aus Calgary erst später zurückkehren als die Maschine aus Dallas. Um also die Existenz des Ätherwindes nachweisen zu können, müssen wir seine Richtung ändern. In der Praxis heißt das, dass wir die Orientierung der Lichtwege relativ zum Ätherwind ändern müssen – indem wir die Apparatur drehen.

Das Experiment

Kehren wir zu Michelson und seiner Besessenheit von dem „unmöglichen“ Experiment zurück. Seine erste Interferenzmessung machte er während eines Studienaufenthaltes zwischen 1880 und 1882 in Berlin mit finanzieller Unterstützung von Alexander Graham Bell (1819 – 1905). Michelsons Apparatur hatte jedoch noch mehrere Schwachstellen. Die Arme mit den reflektierenden Spiegeln ließen nur eine kurze Lichtlaufstrecke zu, und ihre Justierung wurde beim Drehen des Instrumentes verstellt. Der Berliner Verkehr tat ein übriges, indem er störende Vibrationen hervorrief – und das bereits ab zwei Uhr morgens.

Das entscheidende Experiment gelang 1887, als sich Michelson während eines Aufenthaltes an der Case School of Applied Science in Cleveland, Ohio, mit Edward C. Morley (1838-1923) zusammentat, einem Chemieprofessor der nahegelegenen Western Reserve University. (Die beiden Universitäten sind heute unter dem Namen Case Western Reserve vereint.) Gemeinsam verbesserten sie die Apparatur, um deren Schwächen auszugleichen. So konnten sie die Laufstrecke des Lichtes beträchtlich vergrößern, indem sie die Strahlen mehrmals zur Reflexion brachten. Das Licht durchlief jetzt eine effektive Entfernung von etwa 22 Metern, was 40 Millionen Wellenlängen des gelben Natriumlichtes entsprach. (Mit Hilfe dieses Lichtes wurde der Apparat sorgfältig eingerichtet.) Um darüber hinaus die Stabilität zu erhöhen und Vibrationen zu dämpfen, wurden die optischen Teile auf eine massive Sandsteinplatte montiert, die auf einer Quecksilberschicht schwimmend gelagert war. Das löste auch die Probleme, die anfangs beim Drehen des Apparates aufgetaucht waren. Einmal in Bewegung gesetzt, drehte er sich stundenlang langsam weiter, so dass eine genaue Beobachtung der Streifen an 16 entlang eines Kreises markierten Positionen möglich war.

Schließlich wurde, beginnend mit dem 8. Juli 1887, an mehreren aufeinander folgenden Tagen jeweils zur gleichen Tageszeit gemessen: um 12 und 18 Uhr. In diesem Sechs-Stunden-Intervall wurde das Laboratorium durch die Erdrotation 90 Grad um die Erdachse gedreht, was eine maximale Verschiebung der Streifen – um vier Zehntel eines Streifens – erwarten ließ. Und welche Veränderungen beobachtete man zwischen diesen Tageszeiten nun wirklich?

Keine. Die Interferenzstreifen verschoben sich Überhaupt nicht. Natürlich hatte das Experiment nur eine endliche Genauigkeit; Verschiebungen ließen sich nur bis zu einem Hundertstel der Streifenbreite nachweisen. Seither wurde dieses Experiment mit moderneren Instrumenten und beträchtlich höherer Genauigkeit wiederholt, aber das Ergebnis blieb dasselbe. Das Michelson-Morley-Experiment und sein negativer Befund waren eindeutig: Es gibt keinen Äther als Lichtmedium.

Relativität

Bei der Beschreibung dieses historischen Experiments habe ich auf die historische Begründung zurückgegriffen, die mit der Vorstellung des Äthers verknüpft ist. Die paradoxen Eigenschaften eines solchen Äthers lassen sich jedoch umgehen, wenn man die von Michelson und Morley beantwortete Frage folgendermaßen stellt: Bezieht sich Maxwells Theorie, in der sich elektromagnetische Wellen mit der Geschwindigkeit c bewegen, möglicherweise auf ein bestimmtes Bezugssystem, nämlich ein Ruhesystem, das seinen Beobachter als absolut ruhend auszeichnet? Wenn ja, dann sollte ein Beobachter, der sich relativ zu diesem Ruhesystem bewegt, eine von c abweichende Geschwindigkeit messen. Das Michelson-Morley-Experiment besagt eindeutig, dass es kein solches ausgezeichnetes Bezugssystem gibt. Alle Bezugssysteme, die sich relativ zueinander mit gleichförmiger Geschwindigkeit bewegen, sind äquivalent. Dies gilt sowohl für mechanische Bewegungen als auch für elektromagnetische Wellen. Ein Zustand absoluter Ruhe hat also keinerlei physikalische Bedeutung.

Es sollten aber noch 18 Jahre vergehen, bis einer es wagte, jene beiden Aussagen als allgemeine Gesetze zu formulieren, die zwar durch die Theorie des Elektromagnetismus nahegelegt und durch das Experiment gestützt wurden, aber mit der Newtonschen Physik unvereinbar waren. Diese Gesetze sind:

1. Das Relativitätsprinzip: Zwei Beobachter, die sich in Inertialsystem[3] mit gleichförmiger Geschwindigkeit relativ zueinander bewegen, werden für alle Phänomene gleichwertige (äquivalente) Beschreibungen geben. Für beide Beobachter gelten dieselben physikalischen Gesetze.

2. Zu diesen Gesetzen gehört die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum. Diese Geschwindigkeit ist für alle Beobachter in Inertialsystemen gleich, sofern sie sich relativ zueinander in gleichförmiges Bewegung befinden.

Die Sprache, die Albert Einstein 1905 dafür gebrauchte, war weniger knapp. Er schrieb dazu,

1'. „... dass vielmehr für alle Koordinatensysteme, für welche die mechanischen Gleichungen gelten, auch die gleichen elektrodynamischen und optischen Gesetze gelten... „

2'. „... dass sich das Licht im leeren Raum stets mit einer bestimmten, vom Bewegungszustande des emittierenden Körpers unabhängigen Geschwindigkeit c fortpflanze“.

Wir bemerken, dass sich die ursprüngliche Aussage des zweiten Postulats auf die Bewegung des emittierenden Körpers bezieht, während wir die Bewegung des Beobachters hervorgehoben haben. Einsteins erstes Postulat stellt die Äquivalenz beider Versionen sicher.


Exkurs:

Die Aberration des Sternlichtes

Im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert wurde die Suche nach einem direkten Beweis der Kopernikanischen Theorie verstärkt fortgesetzt. Aus der Annahme, dass sich die Erde in einem Jahr um die Sonne bewegt, zog man den Schluss, dass sich die Richtung eines bestimmten Sterns nach sechs Monaten, wenn sich die Erde auf der anderen Seite ihrer Bahn befindet, ändern müsse.

Eine solche Positionsverschiebung können wir leicht bei einem, nahen Objekt beobachten, wenn wir beim Betrachten abwechselnd das rechte und linke Auge schließen; es handelt sich hier um die Grundlage des stereoskopischen Sehens.

Im Jahre 1725 beobachtete James Bradley (1693 – 1762) eine solche Verschiebung bei einem Stern, den man von London aus im Zenit beobachtet. Aber irgendetwas stimmte nicht. Die maximale Positionsverschiebung war in den falschen Jahreszeiten zu verzeichnen – als die Erde gegenüber der jeweils erwarteten Bahnposition um ein Viertel ihrer Bahn abwich. Als Bradley zwei Jahre später während einer steten Brise auf der Themse segelte, betrachtete er fasziniert, wie die Fahne am Mast bei einem Kurswechsel des Bootes ihre Richtung änderte. Das gab ihm den entscheidenden Gedanken: Die Verschiebung der Sternposition beruhte nicht auf der Ortsänderung der Erde während ihrer Bahnbewegung, sondern auf der Geschwindigkeitsänderung der Erde während eines Umlaufs.

Als beliebter Vergleich wird hier ein Mensch mit Regenschirm angeführt. Wenn man im senkrecht fallenden Regen steht, muss man den Schirm senkrecht halten, um maximalen Schutz zu bekommen. Beim Gehen muss man ihn in Vorwärtsrichtung neigen, um geschützt zu bleiben, und zwar um so mehr, je schneller man geht[4]. Ersetzen wir den Regen durch Sternlicht, den Schirm durch ein Teleskop und den Schirmträger durch die Erde auf ihrer Bahn, so läuft das Ganze auf Bradleys Erklärung für die Aberration des Sternlichtes hinaus.

Die Vorstellung von einem Lichtstrahl, der auf einer geraden Linie vom Stern zur sich bewegenden Erde läuft, liefert eine vollständige Erklärung für die jahreszeitliche Richtungsänderung der Sternposition. Würde sich das Licht in einem Äther fortpflanzen, der von der bewegten Erde mitgezogen wird, so ergäbe sich keine Positionsverschiebung. Um in unserem Vergleich mit dem Regen zu sprechen: Es wäre dann so, als ob in dem Augenblick, in dem man losgeht, ein Wind aufkäme, der den Regen in dieselbe Richtung triebe, in die man geht, und zwar genau mit derselben Geschwindigkeit.

Der Text ist frei übernommen aus dem Buch:

Einsteins Erbe, Die Einheit von Raum und Zeit

erschienen im Spektrum Verlag, 1987



[1] Dasselbe gilt für den Raum.  Newtons berühmter Zeitgenosse, Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716), der 1673 zum auswärtigen Mitglied der Royal Society gewählt wurde, war anderer Meinung.  Raum war für Leibniz eine Eigenschaft der Phänomene und somit, wie auch die Zeit, ein relativer Begriff.

[2] Eine weitere große Schwierigkeit war folgende: In einem gewöhnlichen Festkörper gibt es zwei Arten von Wellen: longitudinale, bei denen die Schwingungsrichtung mit der Bewegungsrichtung übereinstimmt (das ist bei Schallwellen der Fall), und transversale, bei denen die Schwingungsrichtung senkrecht zur Bewegungsrichtung steht. Schon Christian Huygens hatte entdeckt, dass Lichtwellen immer transversal sind. (Dies lässt sich mit Polarisationsgläsern anschaulich zeigen, die nur eine der beiden möglichen Transversalschwingungen passieren lassen. Zwei solche Polarisatoren, deren Polarisationsrichtungen rechtwinklig zueinander stehen, löschen einen Lichtstrahl vollständig aus.) Um die Abwesenheit longitudinaler Lichtwellen erklären zu können, mussten dem Äther die Eigenschaften eines inkompressiblen Festkörpers zugeschrieben werden.

[3] Für einen Beobachter in einem Inertialsystem breitet sich Licht im Vakuum geradlinig aus, und kräftefreie Körper folgen geraden Bahnen. Ein Beobachter, der sich relativ zu einem Beobachter in einem Inertialsystem dreht, ist selbst kein inertialer Beobachter.

[4] Entsprechendes passiert, wenn die Person stehen bleibt und ein Wind aufkomrnt, der den Regen in horizontaler Richtung bewegt.