Weltrekord im Kanonenrohr

Einem internationalen Wissenschaftler-Team in Hamburg gelang der erste Schritt zu einem Röntgen-Laser-Mikroskop

Um Winziges zu sehen, treiben die Physiker am Deutschen Elektronen-Synchroton (Desy) in Hamburg einen riesigen Aufwand. 300 Meter lang wird ihr neues hoch auflösendes Röntgen-Laser-Mikroskop sein, das in einigen Jahren Details und Prozesse in lebenden Zellen sichtbar machen soll. Dessen weniger als eine Pico-Sekunde (eine Billionstelsekunde) dauernden Strahlen-Blitze werden außerdem - wie ein ultraschnelles Stroboskop - Molekül-Veränderungen chemischer Reaktionen sozusagen in flagranti fotografieren können.

Mit dem ersten, 100 Meter langen Teilstück der Anlage, das kürzlich den Testbetrieb aufnahm, stellte das Desy-Team um Jörg Roßbach gleich einen neuen Weltrekord für diese Art Laser, einen so genannten Freie-Elektronen-Laser (FEL), auf: Die Forscher erzeugten Strahlung im extrem kurzwelligen Ultraviolettbereich mit einer Wellenlänge von 80 Nanometern (ein Nanometer ist ein Millionstelmillimeter).

Herkömmliche Laser erzeugen ihre Strahlung mit "angeregten" Elektronen in der Hülle von Atomen - etwa des Edelgases Argon. Sie strahlen jedoch nur in bestimmten Wellenlängen. Die "frei fliegenden" Elektronen des bei Desy benutzten Lasertyps hingegen lassen sich in weiten Bereichen stufenlos "durchstimmen".

In einem 24 Meter langen, auf minus 271 Grad Celsius gekühlten und luftleer gepumpten "Kanonenrohr" aus dem Supraleiter Niob werden die Elektronen mit starken elektrischen Feldern fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Dieses Rohr mündet in einen so genannten Undulator - eine "hohle Gasse", deren Ränder zahlreiche kleine Permanentmagnete säumen. Sie sind so angeordnet, dass die Elektronen abwechselnd zu beiden Rändern des Undulators hin abgelenkt werden - also gewissermaßen auf einen Slalom-Kurs geraten. Dieses Schlingern bewirkt, dass sie ein elektromagnetisches Feld erzeugen.

"Wie bei einem Handy", so Roßbach, "in dessen Antenne sich Elektronen schnell auf und ab bewegen, wird eine elektromagnetische Welle ausgesandt." Die im Undulator erzeugte Welle breitet sich in der Flugrichtung der Elektronen aus. Dadurch kommt es zu einer stimulierenden Rückwirkung: Die Welle regt die Elektronen zu weiterer Strahlung an - ein sich immer weiter aufschaukelnder Prozess, der in "normalen" Lasern ähnlich abläuft und Licht erzeugt, das in einer Wellenlänge im Gleichtakt schwingt.

Herkömmliche Laser sind indes für Röntgenstrahlen ungeeignet, weil in ihnen die Wellen zwischen zwei Spiegeln hin- und herlaufen müssen und sich Röntgenstrahlen nicht reflektieren lassen. Das Desy-Gerät jedoch kommt ohne Spiegel aus, und daher hängt die kürzeste erreichbare Wellenlänge im wesentlichen nur noch von der Größe der Energie ab, mit der die Elektronen in den Undulator geschossen werden. Bei vollem Ausbau auf 300 Meter Länge soll der Desy-Laser Wellenlängen bis zu sechs Nanometer hinab erzeugen können - das ist bereits "weiche", also langwellige Röntgenstrahlung.

Wenn alles wie erhofft klappt, wollen die Forscher von 2003 an ein noch weit größeres Röntgen-Laser-Mikroskop bauen - einen 33 Kilometer langen Linearbeschleuniger, der unterirdisch von Hamburg-Bahrenfeld bis in den schleswig-holsteinischen Ort Westerhorn reicht. Die "Tesla" genannte Superkanone soll auch "harte" Röntgen-Laser-Strahlung mit Wellenlängen von 0,1 Nanometer erzeugen und einzelne Atome fotografieren können. Außerdem sollen damit von den Physikern vorhergesagte, bislang aber noch nicht gefundene Elementarteilchen aufgespürt werden, mit denen sich zum Beispiel die Massen von Elektron und Proton erklären lassen.