Ur-Kollision vor dem Urknall?

Wird der Urknall einer Ur-Kollision weichen müssen? Sollte eine neue Theorie zur Entstehung des Universums greifen, könnte es das Ende des Big-Bang-Modells bedeuten.

Denn die neue Theorie amerikanischer Kosmologen liefert die erste ernsthafte Alternative zum vorherrschenden Urknall-Konzept mitsamt der dazugehörigen "Inflationstheorie". Sie wurde letzte Woche überraschend auf einer Tagung des "Space Telescope Science Institute" vorgestellt.

Inflationäres Universum

Seit den frühen 80er Jahren gilt die Theorie des "inflationären Universums" als wichtige Ergänzung zur Urknall-Theorie. Alan Guth vom Department of Physics am Massachussetts Institute of Technology ersann sie, um einige Probleme zu lösen, welche die Physiker mit der Urknall-Theorie hatten.

Beispielsweise scheint das Universum "flach" zu sein - ein technischer Begriff, mit dem die groß angelegte Krümmung des Weltalls bezeichnet wird. Außerdem ist es isotrop, d.h., dass es überall dieselben Eigenschaften, etwa dieselbe Temperatur, aufweist. Diese Eigenschaften vermag die Urknall-Theorie nicht gut zu erklären.

Nach der Theorie des "inflationären Universums" hat jedes Universum eine erstaunlich heftige und rasche Expansion durchgemacht, die weniger als zehn hoch minus 32 Sekunden dauerte.

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Surrealistisches Modell

Zwanzig Jahre lang haben Wissenschaftler keine andere Lösung gefunden, die besser als diese zu den Beobachtungen der Astronomen passt.

Nun haben der Physiker Paul Steinhardt und seine Kollegen von der Princeton University ein Modell entwickelt, das sie "ekpyrotisch" nennen. Steinhardt gehörte zu dem Team, das Anfang der 80er Jahre die "Inflationstheorie" aufstellte.

Mit diesem Modell des frühen Universums vermögen sie sowohl die Flachheit als auch die Isotropie zu erklären, ohne auf die Inflation zurückgreifen zu müssen.

Auf den ersten Blick scheint das neue Modell surrealistisch. Es beruht auf einer Erweiterung der so genannten "String-Theorie" - der M-Theorie.

String-Theorie

Mit der String-Theorie versuchen Physiker zu erklären, wie sich die beiden großen Theorien der Physik vereinbaren lassen: die Quantentheorie, die die atomaren Vorgänge beschreibt, und die Relativitätstheorie, eine "erste Physik des Weltalls". Eine der merkwürdigsten Eigenschaften der String-Theorie ist, dass sie von wesentlich mehr als nur drei Dimensionen im Universum ausgeht, nämlich von zehn oder 26.

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Leintücher an Wäscheleinen

Elf Dimensionen kennt die M-Theorie, von denen sechs "eingerollt" sind und deshalb vernachlässigt werden können. In dem also effektiv fünfdimensionalen Raum schweben zwei ganz und gar flache, vierdimensionale Membranen - wie Leintücher, die an zwei parallelen Wäscheleinen hängen.

Das eine der Leintücher ist unser Universum, das andere ist ein "verstecktes" Paralleluniversum.

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Kollision mit unserem Universum

Nach der neuen Theorie entstand das Universum auf folgende Weise:

Infolge zufälliger Bewegungen soll der verborgene Gefährte spontan eine Membran abgeworfen haben, die sich langsam auf unser Universum zu bewegte. Während sie sich bewegte, wurde sie flach und beschleunigte sich in Richtung unserer Membran. Schließlich kollidierte sie mit unserem "Universum", wobei ein Teil der Kollisionsenergie zu der Energie und Materie wurde, aus denen unser Universum besteht.

Flach plus flach bleibt flach

Da sowohl die sich bewegende Membran als auch unsere eigene Membran zu Beginn mehr oder weniger flach waren, bleibt unser Universum nach der Kollision auch flach.

"Flach plus flach bleibt flach", sagte Steinhardt.

"Das ist die erste überzeugende Verbindung zwischen M-Theorie und Kosmologie", meinte David Spergel, Astrophysiker an der Princeton University. "Das ist eine Art Ur-Urknall."

Gravitationswellen als Beweis

Und obwohl es sich bei der "ekpyrotischen Theorie" um ein abstraktes Gedankenspiel handelt, sollte es möglich sein, mittels künftiger Experimente nachzuweisen, welche der Theorien zutrifft: diese oder die Inflationstheorie.

Denn beide Modelle sehen so genannte Gravitationswellen vor, die sich durch unser Universum bewegen. Die Existenz dieser Wellen konnte allerdings bisher noch nicht nachgewiesen werden.

Eine Entscheidung für die eine oder die andere Theorie gelänge, wenn man mit Nachfolgemodellen heutiger Experimente die Gravitationswellen bestimmen könnte. Denn die Gravitationswellen beider Theorien sind unterschiedlich.

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Abstract und Text

Space Telescope Science Institute

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