Physik: Das Dutzend ist komplett

Die materielle Welt besteht nach dem Standardmodell der Physik aus zwölf verschiedenen Teilchen. Elf von ihnen waren bisher experimentell nachgewiesen. Jetzt haben Wissenschaftler auch das zwölfte, das Tau-Neutrino, aufgespürt

Neutrinos sind elektrisch neutrale Elementarteilchen, die in großer Zahl etwa in Kernreaktoren oder bei der Energieerzeugung in der Sonne entstehen. Drei Arten unterscheiden die Wissenschaftler: das Elektron-, Myon- und das jetzt gefundene Tau-Neutrino. Wie groß deren Masse ist, oder ob sie vielleicht gar keine haben (so wie das Photon, das Lichtteilchen), ist bis heute unbekannt.

Die Elektron-Variante wurde schon 1956 am amerikanischen Kernreaktor Savannah River nachgewiesen, das Myon-Neutrino sechs Jahre später am Brookhaven National Laboratory ; beide Entdeckungen waren nobelpreiswürdig.

Für das Tau-Neutrino gab es lange nur indirekte experimentelle Hinweise. Dennoch waren die Physiker schon seit den siebziger Jahren von seiner Existenz fest überzeugt; allein aus Symmetriegründen musste es ein Teilchen wie das Tau-Neutrino geben.

Überraschend für die Fachwelt war jedoch, dass die Wissenschaftler es direkt nachweisen konnten. Denn Neutrinos reagieren nur extrem selten mit anderen Teilchen. Sie hinterlassen so gut wie keine Spuren, da sie durch alles mühelos hindurchsausen. Sie "spüren" nämlich nur die so genannte Schwache Kraft, die etwa den radioaktiven Betazerfall auslöst. Daher können sie theoretisch selbst einen Bleiklotz von zehn Milliarden Kilometer Durchmesser ohne Widerstand durchdringen.

Um solche Geisterteilchen aufzuspüren, muss man sehr viele von ihnen erzeugen.

Elementarteilchen gehorchen der Quantentheorie - und die unterliegt den Gesetzen des Zufalls. Also verhält sich jedes Tau-Neutrino, wenn man es auf einen Detektor schießt, im Prinzip anders. Je intensiver der Teilchenstrahl, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eines von ihnen stecken bleibt. Dabei wandelt es sich in ein anderes Teilchen um, in ein Tau-Lepton, das seinerseits nach nur einem Millimeter Flug mit einem typischen Knick in seiner Flugbahn in wieder andere Teilchen zerplatzt.

Das Experiment fand in den Jahren 1996 und 1997 am amerikanischen Fermilab in Batavia westlich von Chicago statt - 54 Physiker aus vier Nationen waren beteiligt. Drei Jahre lang haben sie anschließend in den über sechs Millionen registrierten Teilchen-Spuren nach den millimeterlangen, charakteristisch geknickten Strichen gesucht. Dann waren sie sich sicher: Viermal hat sich das Tau-Neutrino eindeutig zu erkennen gegeben.