Später bleibt wirklich später

Auch Elementarteilchen können zwischen Vergangenheit und Zukunft unterscheiden

Läuft im Kino der Film plötzlich rückwärts, so merkt das jeder. Es sieht und hört sich einfach anders an, wenn der Zeitablauf sich umkehrt. Doch in der Welt der kleinsten Teilchen ist das anders: Dort herrscht normalerweise kein Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft - allerdings auch nur normalerweise, denn schon seit 1964 vermuten Physiker, dass Kaonen und deren Antiteilchen sehr wohl zwischen Vergangenheit und Zukunft unterscheiden können - als einzige Elementarteilchen.

Bis Mitte der fünfziger Jahre gingen die Wissenschaftler davon aus, dass die physikalischen Gesetze in der Mikrowelt unabhängig von der Zeitrichtung sind und auch unabhängig davon, ob man die Teilchen mit deren Spiegelbildern oder deren Antiteilchen vertauscht.

Doch dann stellte sich heraus, dass eine Spiegelung manchmal - nämlich dann, wenn die Teilchen der sogenannten schwachen Wechselwirkung unterliegen - das Vorzeichen jener Gleichungen ändert, die ihr Verhalten beschreiben. Ein Elementarteilchen und dessen Spiegelbild wären somit nicht deckungsgleich. "Paritäts-Verletzung" heißt das im Fachjargon.

Die Forscher vermuteten noch weitere "Symmetrie-Verletzungen": solche, die dann auftreten, wenn Teilchen durch ihre Antiteilchen ersetzt werden oder wenn die Zeitrichtung sich umkehrt. Nach der Theorie der Elementarteilchen dürfen derlei Symmetrieverletzungen einzeln zwar vorkommen, doch muss nach sämtlichen drei Operationen - Spiegelung, Teilchen-Antiteilchen-Austausch und Zeitumkehr - alles sich wieder symmetrisch ausrichten.

1964 bemerkten die amerikanischen Physiker Val Fitch und James Cronin, dass bei neutralen K-Mesonen (oder einfach: Kaonen) - im Gegensatz zu anderen Teilchen - eine Symmetrieverletzung auftritt, wenn sie sich sowohl in ihr Spiegelbild als auch in ihr Antiteilchen verwandeln. Diese Kaonen sind instabile Teilchen ohne Ladung, die etwa 1000mal schwerer sind als Elektronen und entstehen, wenn Protonen und Antiprotonen aufeinanderprallen. Kaonen und Anti-Kaonen können sich gleich nach ihrer Bildung in jeweils ihr Antiteilchen verwandeln und zerfallen nach einer für Kernprozesse recht langen Zeit.

Weil bei den Kaonen Spiegelung und Teilchen-Antiteilchen-Verwandlung eine Symmetrie-Verletzung ergeben, so muss der Theorie zufolge auch die Zeitumkehr verletzt sein, damit die Symmetrie insgesamt erhalten bleibt. Das heißt nichts anderes, als dass ein "Zurück in die Vergangenheit" nicht funktioniert.

Ein neuer, erstmals direkter Hinweis darauf gelang am europäischen Beschleuniger CERN in Genf: Nachdem Hochenergie-Forscher Antiprotonen auf Wasserstoffatome geschossen hatten, registrierten sie die entstandenen Kaonen und Antikaonen. Und nach Prüfung von 1,3 Millionen Reaktionen ermittelten sie eine Tendenz: Antikaonen verwandeln sich häufiger in Kaonen als umgekehrt. Würde hingegen die Zeit rückwärts laufen, träte der umgekehrte Fall ein!

Auch Wissenschaftler am Fermi-Lab im amerikanischen Batavia (Illinois) erkannten eine asymmetrische Zeitrichtung beim Zerfall des Kaons. Sie untersuchten 1800 Fälle, in denen sich ein Kaon in zwei Teilchen und ein Quant Gammastrahlung verwandelt. Das Gammaquant lieferte hier das verräterische Indiz: Es wies eine bestimmte Schwingungsrichtung auf - einen inneren Zeitpfeil.

Weshalb die Symmetrieverletzungen auftreten, ist indes auch für Physiker noch rätselhaft. Möglicherweise müssen sie sich jetzt sogar auf die Suche nach einer neuen Kraft machen - nach der, die jene Zeitsymmetrie verletzt.