Obsthändlers Weisheit

Die Keplersche Vermutung ist endlich bewiesen - vermutlich

von Wolfgang Blum

Was Früchteverkäufer seit Jahrhunderten wissen, hat endlich auch die Mathematik bewiesen: Platzsparender als bei den kunstvoll aufgetürmten Orangen-Pyramiden auf dem Wochenmarkt kann man Kugeln nicht aufeinanderschichten.

Dass diese Packung die dichteste sei, hatte der Astronom Johannes Kepler bereits 1609 behauptet. Doch der Beweis stellte sich als erstaunlich vertrackt heraus. Das Problem blieb 389 Jahre offen - länger als die berühmte Fermatsche Vermutung, die der Brite Andrew Wiles vor einigen Jahren bewies. Zwar behaupteten immer wieder Mathematiker, es geschafft zu haben, doch jedesmal fanden kritische Kollegen Lücken in der Argumentation. Vergangenen Sommer meldete Tom Hales, Mathematiker an der Universität in Ann Arbor (US-Bundesstaat Michigan), vorsichtig an, er habe möglicherweise einen Beweis - wenn nicht andere Fachleute auch bei ihm einen Fehler fänden.

In der Praxis ist der dichteste Aufbau ebenso simpel wie effizient: An zwei nebeneinanderliegende Apfelsinen legt man eine dritte so, dass sie die beiden anderen berührt. Die nächsten Früchte bekommen ebenfalls Kontakt zu jeweils zwei bereits daliegenden. Ist so die Tischfläche bedeckt, geht es an die zweite Schicht, die genauso aussieht wie die erste. Die Orangen rutschen dabei von selbst in die Lücken der unteren Lage. So fügt sich Schicht auf Schicht. Der Anteil der Früchte am Gesamtvolumen beträgt bei dieser Anordnung rund 74,048 Prozent.

Theoretisch ist die Sache jedoch vertrackt. "Dieses Gebiet der Mathematik ist berüchtigt für seine falschen Beweise", erklärt Hales. "Ich verbrachte mehrere Monate damit, die Arbeit zu prüfen." Kürzlich präsentierte der Mathematiker seinen Beweis auf einer Tagung in Princeton. Eine Woche lang hielt er jeden Tag drei Vorträge. Keiner der Spezialisten konnte eine Unstimmigkeit finden. "Das gab mir zusätzliches Vertrauen", kommentiert der 40jährige bescheiden.

Ähnlich wie bei Fermats Satz galt es bei der Keplerschen Vermutung das Nichtvorhandensein von etwas zu beweisen - bei Fermat sind es ganzzahlige Lösungen gewisser Gleichungen, bei Kepler Kugelpackungen, die den Raum zu mehr als 74,048 Prozent ausfüllen. Schon das mache die Aufgabe schwierig. Überdies können in kleinen Gebieten die Kugeln sehr wohl dichter liegen: Setzt man auf drei Kugeln eine vierte obenauf, bilden ihre Mittelpunkte eine Pyramide, deren Grundfläche und Seiten gleichseitige Dreiecke sind. Die Kugeln füllen dieses reguläre Tetraeder zu knapp 78 Prozent aus. Eine Stapelung, die nur aus solchen Tetraeder-Anordnungen bestünde, wäre somit platzsparender als die Keplersche. Jedes Tetraeder aber zwingt Kugeln um sich herum in ungünstigere Positionen, was den lokalen Dichtevorteil wieder aufzehrt.

Um das zu beweisen, zeigte Hales zunächst, dass es genügt, statt unendlich vieler Kugeln nur Haufen aus höchstens 53 Kugeln zu betrachten. Mit Hilfe seines Doktoranden Sam Ferguson und eines Computers arbeitete er dann die 5000 verbleibenden Typen von Kugelhaufen ab.

"Ich wollte andere dazu anstiften, mir zu helfen"

Anders als Wiles, der still und heimlich auf seinem Dachboden an Fermats Vermutung knabberte, stellte Tom Hales bereits vor fünf Jahren einen Plan in das Internet, der zum Beweis der Keplerschen Vermutung hinführen sollte (www.math.lsa.umich.edu/~hales/ countdown). "Ich habe das Programm angekündigt, weil ich andere dazu anstiften wollte, mir zu helfen", erzählt er. "Ich fühlte mich oft von der Größe des Problems überwältigt."

Zum Schluss habe er durchgehend über der Kepler-Vermutung gebrütet, unterbrochen nur von kurzen Pausen zum Schlafen und Essen. Als der Beweis dann endlich erbracht war, sei er regelrecht in eine Leere gefallen. Womit wird diese gefüllt? Natürlich mit der nächsten harten Nuss, dem Kelvin-Problem. Im 19. Jahrhundert fragte sich William Kelvin, wie man den Raum so in gleiche Volumina teilen könne, dass deren Oberflächen minimal seien. "Das Kelvin-Problem hat alle Merkmale eines guten Problems", findet Hales. "Es lässt sich leicht formulieren, hat eine reiche Geschichte - und ist so schwierig, dass ich wette, es dauert mehr als eine Generation, bis es gelöst ist."

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