Mathematik für Millionen

Die sieben größten mathematischen Rätsel hat jetzt eine amerikanische Stiftung aufgelistet. Wer eines von ihnen löst, kann Millionär werden

von Wolfgang Blum

Vor drei Wochen schlugen wir an dieser Stelle der mathematischen Gemeinschaft vor, für die Lösung berühmter Probleme Preise auszuloben, um so das Ansehen des Fachs zu heben (ZEIT Nr. 19/00). Am Mittwoch dieser Woche benannte nun das Clay Mathematics Institute (CMI) auf einer Veranstaltung in Paris sieben mathematische Kopfnüsse. Wer eine von ihnen als Erster knackt, wird von der Stiftung des amerikanischen Multimillionärs Landon T. Clay mit einer Million Dollar belohnt.

Mit den Millenniumspreisen will das vor einem Jahr gegründete CMI an die berühmte Liste mit 23 Problemen anknüpfen, die David Hilbert hundert Jahre zuvor auf einem Kongress in Paris vorstellte. Der Göttinger Mathematiker bestimmte mit ihr entscheidend den Fortgang der Forschung im vergangenen Jahrhundert.

Dass die sieben aktuellen Probleme äußerst schwer zu lösen sind, ist in der Fachwelt unbestritten. Matthias Kreck von der Universität Heidelberg kann sich sogar vorstellen, dass alle sieben die nächsten hundert Jahre unbewältigt überstehen. Von Hilberts Liste wurden bis heute zwölf Aufgaben gelöst, drei stehen noch offen, acht waren allgemeiner Natur, wie zum Beispiel die mathematische Physik präziser zu fassen. Der Göttinger habe auch Themen aufgegriffen, die vorher noch nicht so bekannt waren, erzählt Albrecht Beutelspacher von der Universität Gießen. Die neue Liste berge hingegen keine Überraschung: "Kein Zweifel, das sind die Top-Probleme." Worum geht es?

Die Riemannsche Vermutung, die schon Hilbert auf seiner Liste hatte, handelt von den Nullstellen der so genannten Zeta-Funktion, die eng mit den Primzahlen zusammenhängen, den Zahlen, die sich nur durch sich selbst und durch 1 ohne Rest teilen lassen. Schon die alten Griechen waren von Primzahlen fasziniert und untersuchten diese Grundbausteine der Mathematik. Dennoch ist noch nicht vollständig geklärt, nach welchem Muster sie in den ganzen Zahlen verteilt sind. Wäre die Riemannsche Vermutung bewiesen, wüsste man mehr darüber.

Die Poincarésche Vermutung dreht sich um die so genannte 3-Sphäre. Die 1-Sphäre ist eine Kreislinie, die 2-Sphäre die Oberfläche einer Kugel, die 3-Sphäre die Oberfläche einer vierdimensionalen Kugel. Die lässt sich zwar nicht so leicht vorstellen, ist aber doch nicht nur das Hirngespinst von Mathematikern. Einer astrophysikalischen Theorie zufolge ist unser Universum eine 3-Sphäre. Henri Poincaré glaubte vor gut hundert Jahren, bewiesen zu haben, welche Eigenschaften ein Gebilde haben müsste, um eine möglicherweise etwas verformte 3-Sphäre zu sein. Als der Franzose einen Fehler in seiner Arbeit fand, formulierte er das Theorem um. Doch ein Beweis wollte ihm so wenig gelingen wie seinen Nachfolgern.

Die Vermutung von Hodge schafft eine Verbindung zwischen Algebra und Geometrie. Mathematiker konstruieren mit den unbekannten Lösungen von Gleichungen geometrische Räume. Indem sie deren Eigenschaften ergründen, ziehen sie dann wiederum Rückschlüsse auf die Lösungen.

Die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer hat ganzzahlige Lösungen von Gleichungen zum Thema, in denen neben den Unbekannten nur ganze Zahlen, die vier Grundrechenarten und Potenzen auftauchen. Schon auf Hilberts Liste stand die Suche nach einem Entscheidungsverfahren, ob eine derartige Gleichung eine ganzzahlige Lösung besitzt oder nicht. 1970 bewies der sowjetische Mathematiker Jurij Matijasevic, dass es dafür keine allgemein gültige Methode geben kann. Doch wie sieht es mit den ganzzahligen Lösungen einer Teilklasse dieser Gleichungen aus, den so genannten elliptischen Kurven vom Geschlecht 1?

Hinter dem Kürzel P=NP verbirgt sich ein Problem aus der Optimierungstheorie (siehe ZEIT Nr. 10/99). P steht für alle Optimierungsaufgaben, die effizient lösbar sind, np für solche, die zwar einfach zu beschreiben sind, für die aber noch niemand ein schnelles Lösungsverfahren gefunden hat. Das klassische Beispiel für Letztere ist das Problem des Handlungsreisenden: Ein Vertreter will eine Reihe von Städten besuchen und dabei seine Reiseroute so wählen, dass sie so kurz wie möglich ist. Die Crux dabei: Schon bei 20 Stationen sind mehr als zwei Trillionen verschiedene Routen möglich, und bisher ist keine Methode bekannt, mit der die kürzeste zu ermitteln wäre, ohne allzu viele durchzuprobieren. Gesucht ist ein Beweis, dass es für den Handlungsreisenden und viele andere Probleme keine "guten" Lösungsverfahren gibt.

Die Gleichungen von Navier-Stokes stammen aus dem 19. Jahrhundert. Sie beschreiben Turbulenzen in Flüssigkeiten und in der Luft. Meteorologen und die Entwickler von Flugzeugen zum Beispiel brauchen sie täglich. Computer berechnen ihre Werte näherungsweise. Denn wie die Navier-Stokes-Gleichungen exakt zu lösen seien, weiß bis heute niemand.

Die Gleichungen von Yang-Mills stellen einen Bezug her zwischen der Elementarteilchenphysik und der Geometrie der so genannten Faserbündel. Wissenschaftler an Teilchenbeschleunigern wie dem europäischen Cern wenden sie an. Doch fehlt der mathematische Beweis, dass Quantenfelder, die von ihnen beschrieben werden, überhaupt existieren.

So wichtig die sieben Aufgaben für die Forschung sein mögen: Ob die Millenniumspreise einen großen Widerhall in der Öffentlichkeit finden, ist fraglich. Laien können die Behauptungen nur grob erfassen. Vielleicht hätte das CMI aus PR-Gründen wenigstens eine bislang unbewiesene Vermutung aufnehmen sollen, die jedes Schulkind versteht - etwa die Frage, ob es unendlich viele Primzahlzwillinge (Primzahlen mit der Differenz 2) gibt.

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