Lange Wartezeiten - ein mathematisches Gesetz

Lange Wartezeiten in Arztpraxen geben oft Anlass für gesundheitspolitische Diskussionen. Einer neuen Studie zufolge scheinen jedoch den langen Verzögerungen bislang verborgene mathematische Gesetzte zugrunde zu liegen.

Dominic Smethurst und H. C. Williams vom University Hospital in Nottingham haben das Phänomen ''Schlange stehen'' untersucht. Die beiden Wissenschaftler fanden heraus, dass sich Wartelisten wahrscheinlich gemäß eines Potenzgesetzes verhalten. Sporadisch auftretende lange Wartezeiten sind also unausweichlich.

Die Forscher untersuchten über einen Zeitraum von sechs Jahren die Verzögerungen zwischen Überweisung und endgültigem Termin bei vier Dermatologen. Wie nicht anders zu erwarten, änderte sich dieser Verzug stark, wobei sich natürlich Faktoren wie die Anzahl der überwiesenen Patienten oder die Verfügbarkeit der Spezialisten auswirkten.

Wartezeiten kein Zufall

Wie die beiden Wissenschaftler in "Nature sciene update" beschreiben, erwarteten sie, dass die unterschiedlichen Wartezeiten zufällig entstehen. Das bedeutet, es sollte einen definierten Mittelwert geben, um den die Wartezeiten schwanken. Manche Patienten hätten dann halt Glück und müssten sich nur kurz gedulden, andere müssten hingegen lange auf ihren Termin warten.

Zu ihrer eigenen Überraschung fanden Smethurst und Williams jedoch keinen Mittelwert - vielmehr stellten sie fest, dass die Streuung der Werte einer bestimmten mathematischen Beziehung zu folgen scheint - einem Potenzgesetz. Das bedeutet im wesentlichen: Wenn sich die Wartezeit verdoppelt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, lange zu warten, nur um eine fixe Größe.

Ein derartiges Verhalten ist gar nicht so ungewöhnlich und für komplexe Systeme geradezu typisch: Erdbeben folgen beispielsweise ebenfalls einer Beziehung auf Basis eines Potenzgesetzes. So hängen Stärke und Wahrscheinlichkeit eines Bebens voneinander ab. Preisänderungen, Wechselkurse und Entwicklungen der Wirtschaft sind andere Beispiele. Kennzeichnend ist jedes Mal, dass variable Teile des Systems sich beeinflussen und es verändern.

Wechselwirkungen auch im Wartezimmer

Solche Wechselwirkungen treten natürlich auch in den Wartezimmern von Ärzten auf. Patienten, die zu lange warten müssen, suchen andere Ärzte auf; überlastete Mediziner versuchen ihre Zeit so gut es geht aufzuteilen - um nur einige Variablen zu nennen.

Ein sich selbst organisierendes System

Was auch immer zu Verzögerungen und Wartezeiten führt, eine Eigenschaft solcher Systeme ist, dass sie sich weitgehend selbst reorganisieren. Wird eine Größe verändert, so ordnet sich das System im Laufe der Zeit mit einer anderen Prozentgesetzverteilung. Diese sieht zwar numerisch anders aus, verhält sich aber qualitativ ähnlich.

Daher ist der nächste Stau praktisch vorprogrammiert. Kapazitäten auszubauen, um Engpässe zu vermeiden, macht also nur kurzfristig Sinn.

Noch nicht ganz sicher

Sicher ist das allerdings noch nicht, da sich so ein mathematischer Zusammenhang nur schwer anhand kleiner Datensätze nachweisen lässt. Computermodelle von Wartelisten sollen endgültig klären, welche mathematische Gesetzmäßigkeit sich hinter ihnen verbirgt.

Sollten die Ergebnisse allerdings bestätigt werden, so ist das laut Smethurst und Williams gar nicht so schlimm. Denn: Ein System, das einem Potenzgesetz gehorcht, ist am leistungsfähigsten - auch wenn es manchmal nicht so scheint.