Hendl im Phantom

Was Physiker in Krankenhäusern so alles treiben

von Angelika Dietrich

Physiker eins forscht am Knorpel. Physiker zwei am Brustkorb. Physiker drei am Herzen. Physiker eins fand heraus: Nach 50 Kniebeugen ist ein Knorpel eins Komma fünf Millimeter dünner als vorher. Physiker zwei kann Lungenspitzen sichtbar machen. Physiker drei will zeigen, wie stark ein Herzgewebe nach einem Herzinfarkt vernarbt ist. Daran forscht er seit drei Jahren.

Nun ja, so eine Forschung dauert. Auch wenn die Ärzte das manchmal nicht einsehen wollen. Kaum hat ein Physiker herausgefunden, wie man die Parameter eines Kernspintomografen für den Knorpel einstellt, meinen manche Ärzte schon, dies gelte genauso für Herz oder Leber. Die Mediziner wieder! Keine Ahnung von Physik.

Begriffe wie Kernspin, CT, PET und Röntgen gehen Ärzten und Patienten heute ganz selbstverständlich über die Lippen - dabei verbirgt sich dahinter höchst komplizierte Physik. Da geht es um Dichte, Spannungen, Wasserstoffkerne, Magnetfelder, Positronen und Elektronen. Und weil fast alles irgendwie verbessert und weiter erforscht werden kann, gibt es auch am Computertomografen (CT), am Positronen-Emissions-Tomografen (PET) und bei der Kernspintomografie, auch Magnetresonanztomografie (MR) genannt, ständig was zu tüfteln. Ein Fall für Physiker.

In weißen Kitteln laufen sie durch die langen Flure des Klinikums Großhadern, "Dr. Schätzl", "Dr. Faber", "Dr. Meininger", steht in Großbuchstaben auf den Kitteltaschen, und die Patienten halten sie meist für ganz normale Ärzte. Und doch sind sie allesamt Physiker, der radiologischen Abteilung zugeordnet und mit dem befasst, was "Bild gebende Verfahren" heißt. Wird ein Patient durch einen Computertomografen oder einen Kernspintomografen geschickt, sind sie dafür zuständig, dass am Ende ein scharfes Bild entsteht, dass darauf etwas zu erkennen ist und dass dabei die Strahlenschutzbedingungen eingehalten wurden.

Ein CT-Bild, das beispielsweise Manfred Schätzls Spezialität ist, kommt im Prinzip so zustande: Der Röntgenstrahl durchdringt den Körper wie ein Fächer aus verschiedenen Richtungen. Je nach seiner Dichte schwächt das Gewebe die Strahlen ab. Knochen zum Beispiel hemmen Röntgenstrahlen stärker als Fett- oder Lungengewebe. Der Computer empfängt diese Signale und konstruiert aus ihnen ein Bild.

Je stärker die Strahlung, die beim Röntgen oder in der Computertomografie eingesetzt wird, desto deutlicher das Bild. Weil der Arzt am scharfen Bild interessiert ist, der Physiker aber auf die geringe Dosis aufpasst, nennen manche Ärzte Herrn Schätzl "das physikalische Gewissen". Nicht, dass es da zu Spannungen und Streitereien käme, im Prinzip haben Schätzl und die Ärzte das gleiche Ziel: Mit möglichst wenig Strahlung das beste Ergebnis zu erzielen. Aber manchmal sagt der Physiker schon zum Arzt: "So geht's nicht, da müssen Sie vorsichtiger sein." Wenn der Arzt dann erwidert: "Schön und gut, aber so kann ich nicht arbeiten" und mehr Strahlung verlangt, sagt Schätzl: "Gut, aber ich hab's Ihnen gesagt." Aber das kommt selten vor.

Früher, erinnert sich der Physiker Schätzl, konkurrierten alle um die schönsten Bilder, die beste Bildqualität. Erst Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre begann man intensiver auch über Strahlendosis zu reden. Die misst der Physiker mit so genannten Dosimetern an Kunststoffkörpern, die für Versuchszwecke als Patientenersatz dienen. Diese "Phantome" baut Schätzl auch schon mal selbst, steckt abgenagte Hendl-Knochen in Wachswürfel oder gießt Nierensteine in Kunstharz. Nierenstein ist schließlich nicht gleich Nierenstein, manche sind auf Röntgenbildern sichtbar, andere nicht.

Dann misst Schätzl und verändert Parameter wie Aufnahmespannung und Röhrenstrom und schreibt Zahlen und Diagramme, rechnet, vergleicht, und am Ende bespricht er sich mit dem Arzt, welche Bildschärfe genügt. Die Kunst, sagt der Physiker, bestehe darin, für jede einzelne Fragestellung die optimale Dosis zu finden - damit sich auch schwach sichtbare Blutgefäße abbilden lassen, zum Beispiel, oder Lungenspitzen. Und da CT-Aufnahmen immer wieder anders sind, da die Geräte schneller und besser werden und es am Körper unendlich viele Stellen gibt, die durchleuchtet und abgelichtet werden können, gibt es für Schätzl auch nach 25 Jahren am Klinikum Großhadern immer wieder Neues einzustellen und zu prüfen.

Und es gibt immer wieder neue Ärzte, Schwestern und MTRAs, Medizinisch-Technische-Röntgenassistentinnen, denen man die Röntgenverordnung erklären muss, die aus- und weitergebildet werden wollen. "Man möchte sein Wissen ja nicht ansammeln, bis man platzt, sondern das auch loswerden", sagt Schätzl. Der Physiker kümmert sich um die Qualitätssicherung der Geräte, sitzt in verschiedenen Ausschüssen und wirkte an den Standards zur Qualitätssicherung mit, die seit 1972 gelten. Er optimiert die digitale Bildauswertung, denn das könnten die Ärzte nicht allein, sagt er, dazu müsse man die Physik und Technik der Bilddetektoren verstehen.

Als Dienstleister versteht er sich, einer, der sich nach dem Arzt richten muss. Das gilt auch für seine Kollegen Sonja Faber und Martin Meininger. Sie forschen in der Kernspin- oder Magnetresonanztomografie (MR). Diese ist sozusagen die Rundumkamera unter den Bild gebenden Verfahren, denn im Gegensatz zur CT kann sie den Körper aus allen Richtungen abbilden und arbeitet ohne Röntgenstrahlen.

Das geht, weil eine Magnetspule im Gehäuse des Magnetresonanztomografen - in den der Patient gesteckt wird - ein starkes Magnetfeld erzeugt und so die Wasserstoff-Atomkerne im Körper ausgerichtet werden. Eine Radiofrequenzspule sendet dann ein Signal aus und kippt die Wasserstoffkerne kurz um. Wenn sie zurückschnellen, senden sie Wellen derselben Frequenz. Weitere Magnetspulen im Tomografen erlauben die Aufstellung von Raumkoordinaten im Magnetfeld - so kann ein Computer berechnen, woher die Wellen kommen. Diese Daten übersetzt er in Grauwerte und damit in ein Bild. Vorausgesetzt, die Physiker haben ordentlich gearbeitet und die richtigen Daten eingegeben.

Sonja Faber kam vor fünf Jahren nach Großhadern. Da wurde die Forschungsabteilung der Physiker gerade neu aufgebaut, und Wert und Existenz der Physiker, sagt die 31Jährige, wurden von den Ärzten kaum wahrgenommen. Da musste man sich schon bemerkbar machen und erklären, was man als Physiker eigentlich im Krankenhaus will. Sonja Faber schrieb damals ihre Doktorarbeit, mixte an einem Kontrastmittel, mit dem sich die Darmwand im MR-Verfahren darstellen lässt, damit der Darm nicht nur als dunkler Wurm auf den Bildern erscheint.

Frau Faber spricht von Relaxionszeiten und Flussgeschwindigkeiten und Perfusionen, tiefere Physik eben. Irgendwann kommt sie auf den Knorpel zu sprechen und ihre Ergebnisse, die einmal für Orthopädie- und Gelenkforschung interessant sein werden. Zum Beispiel hat sie mit Kollegen ein Verfahren der Knorpelmessung entwickelt, mit dem sie vom Knieknorpel bei Patienten in den unterschiedlichsten Positionen immer wieder die gleiche Aufnahme aus dem gleichen Winkel machen kann. Dahinter steckt die Idee, über das Volumen und die Dicke des Knorpels langfristige Untersuchungen durchzuführen. So sollen zum Beispiel Risikogruppen beobachtet werden, um krankhafte Veränderungen des Knorpels rechtzeitig erkennen und therapieren zu können.

Martin Meiningers Forschungsfeld dagegen ist das Herz. Mittels MR versucht er zu sehen, wie stark ein Herzgewebe nach einem Infarkt vernarbt ist, schaut sich gemeinsam mit den Radiologen an, wie gut das Herz durchblutet ist, wie kräftig es schlägt, führt Studien durch - all das, damit die Ärzte entscheiden können, ob eine Bypass-Operation sinnvoll ist.

Die Mediziner, sagt Sonja Faber, brächten einem mittlerweile sogar so etwas wie Respekt entgegen - weil sie zwar nicht immer genau wissen, was Physiker eigentlich machen, aber merken, dass sie davon profitieren. Von "fruchtbarer Zusammenarbeit" ist im Krankenhaus die Rede: Die Physiker sind auf die Mediziner angewiesen, denn diese definieren die Anforderungen, formulieren die Fragestellung. Umgekehrt sind die Mediziner auf die Physiker angewiesen, da diese die Methoden liefern. Längst arbeiten Physiker nicht mehr nur in der Strahlentherapie oder der Nuklearmedizin, wo ihre Anwesenheit vorgeschrieben ist; in Großhadern führen sie auch in der Urologie Laseruntersuchungen an der Prostata durch. Eine Marktlücke wie zu Manfred Schätzls Zeiten sind Krankenhäuser für Physiker lange nicht mehr. Krankenhäuser bieten Diplomarbeiten an, Doktorarbeiten, Forschungsstellen.

Manchmal aber sind die Ansprüche von Medizinern und Physikern recht unterschiedlich: "Physiker neigen dazu, die perfekte Methode anzuwenden, jede noch so winzige Verästelung zu berücksichtigen", sagt Martin Meininger, "den Klinikern kommt es nicht so sehr auf die wissenschaftliche Eleganz der Methode an, sondern mehr auf die Wirksamkeit." Genau dies aber schätzen die Krankenhausphysiker an ihrer Arbeit: Sie wissen, wozu sie forschen. Ihre Ergebnisse werden gebraucht. Sofort.

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