Falle fürs Licht

Forscher träumen davon, ein Schwarzes Loch im Labor zu erzeugen. Die kühne Vision könnte bald Wirklichkeit werden

von Max Rauner

Als das Flugzeug von John F. Kennedy junior vor sieben Monaten über dem Atlantik verschwand, hatten Chatter im Internet schnell eine Erklärung parat: Den Flieger habe ein Schwarzes Loch verschluckt, hervorgerufen durch ein achtlos durchgeführtes Experiment am Teilchenbeschleuniger Brookhaven auf Long Island, New York. Spätestens als die ersten Wrackteile gefunden wurden, erwies sich das Science-Fiction-Szenario als haltlos - dennoch ließ der Direktor des Brookhaven National Laboratory vorsichtshalber eine wissenschaftliche Studie verbreiten, um die Angst vor künstlich erzeugten gefräßigen Löchern und anderen Formen des Weltuntergangs auszuräumen.

Nun dürfen sich die Internet-Diskutanten über neue Nahrung für ihre Spekulationen freuen: Vor zwei Wochen veröffentlichte die Fachzeitschrift Physical Review Letters Berechnungen zweier Physiker, die zeigen, wie man ein Schwarzes Loch von der Größe eines Sandkorns im Labor erzeugen könnte. "Das wäre absolut ungefährlich", lacht Ulf Leonhardt, einer der beiden Autoren. "Unser Schwarzes Loch würde nur Licht verschlucken, keine Materie."

Leonhardt und sein Mitarbeiter Paul Piwnicki von der Königlichen Technischen Hochschule Stockholm haben ausgerechnet, dass ein Tröpfchen aus wenigen Millionen Atomen sich zum "Lichtschlucker" verwandeln kann, wenn man es zum Rotieren bringt. Wie Korken im Wasserstrudel würden Lichtstrahlen, einmal gefangen, dem Wirbel nicht mehr entkommen. Von außen sähe das aus wie ein schwarzer Punkt, ein tausendstel Millimeter kleines Nichts. Astronomen könnten, glaubt Leonhardt, aus solchen Laborexperimenten etwas über Schwarze Löcher in Galaxien lernen, ohne dafür auch nur einmal in den Himmel schauen zu müssen.

Über ein "echtes" Schwarzes Loch ist mehr bekannt, als manche Star Trek-Folge suggeriert. Es entsteht aus einem schweren, ausgebrannten Stern, der unter dem Druck seiner eigenen Schwerkraft in sich zusammenstürzt. Am Ende ist die gesamte Masse auf einen winzigen Punkt konzentriert, gegen den sich ein Stecknadelkopf noch wie ein Planet ausnimmt - eine Singularität im All, die Materie aus der Umgebung verschlingt, aber kaum etwas nach außen dringen lässt. Lichtstrahlen, die vom Zentrum ausgehen, werden so stark angezogen, dass sie höchstens einige Kilometer weit kommen. Ihr Umkehrpunkt markiert eine imaginäre Kugel, den so genannten Ereignishorizont. Von außen betrachtet, ähnele das einer "schwarzen Katze im Kohlenkeller", wie der britische Astrophysiker Stephen Hawking einmal notierte. Dringen Lichtstrahlen oder Materieteilchen von außen in diesen Ereignishorizont ein, sind sie unwiederbringlich verloren.

Die Lichtfresser von Leonhardt und Piwnicki unterscheiden sich von den Schwarzen Löchern im Kosmos dadurch, dass sie das Licht nicht durch die Schwerkraft an sich binden. Daher schlucken sie auch keine Flugzeuge. Der Vorschlag der beiden Physiker beruht vielmehr auf dem wohlbekannten Effekt der Lichtbrechung: Beim Übergang zwischen verschieden dichten Materialien werden Lichtstrahlen abgelenkt. Dadurch erscheint etwa ein Löffel im halb gefüllten Wasserglas geknickt. Ein Strudel, so die Idee, würde einen ähnlichen Effekt bewirken und das Licht auf eine gekrümmte Bahn zwingen. Damit das Licht gefangen bleibt, müsste die Flüssigkeit allerdings so schnell rotieren, wie sich das Licht in dem Medium fortbewegt. "Der Effekt ist dann ähnlich wie in einem Tornado", sagt Leonhardt, "es entsteht ein starker Sog ins Zentrum."

Freilich ist es unmöglich, einen Wasserstrudel auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen. Doch ein Experiment amerikanischer Wissenschaftler hat unlängst einen Weg gewiesen, dieses Hindernis zu umgehen. Lene Hau und ihren Mitarbeitern ist es gelungen, Licht in einem "Quantengas" (einem so genannten Bose-Einstein-Kondensat) auf 60 Kilometer pro Stunde abzubremsen - von rund einer Milliarde Kilometer pro Stunde im Vakuum. Die Zeitschrift Nature veröffentlichte die Arbeit und malte dazu einen Radrennfahrer auf ihr Titelbild, der vor einem Lichtstrahl die Ziellinie überquert. Bei diesem gedrosselten Tempo würde das Licht statt acht Minuten fast 300 Jahre für die Strecke von der Sonne zur Erde benötigen.

Um Leonhardts Vorschlag zu verwirklichen, müssten die Forscher das Quantengas zum Rotieren bringen und das Licht damit noch stärker abbremsen. Lene Hau, die in Kürze eine Harvard-Professur antritt, hält das durchaus für machbar, auch wenn noch einige Details offen seien. Angst, in diesem Schwarzen Loch zu verschwinden, hat sie nicht: "Ich hätte keine Bedenken, neben dem Experiment zu stehen."

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