Die größte Kloake der Welt

Mehrfach kippte das Mittelmeer im Lauf der letzten Jahrmillionen um und wurde eine übelriechende Schwefelwasserstoffbrühe

Homepage des Ocean Drilling Program

Als Wissenschaftler an Bord des Forschungsschiffes "Joides Resolution" vor vier Jahren Bohrungen im östlichen Mittelmeer vornahmen, erhofften sie sich zwar neue Erkenntnisse über erdgeschichtliche Ereignisse. Nur rechnete damals kaum jemand mit der brisanten Botschaft aus der Tiefe, die sich jetzt nach Analyse der Bohrkerne offenbarte: Das Mittelmeer ist in prähistorischen Zeiten mehrfach umgekippt und war dann zeitweilig eine gigantische schwefelwasserstoffreiche Stinkbombe.

Niederländische und deutsche Geowissenschaftler hatten Bohrkerne untersucht, die im Rahmen des internationalen Tiefseebohrprogramms ("Ocean Drilling Program") aus 50 bis 100 Meter Tiefe unter dem Meeresboden gewonnen worden waren und Sedimente enthielten, die sich vor zwei bis drei Millionen Jahren im Pliozän abgelagert hatten. Als "einzigartig" fielen den Forschern mehrere, an abgestorbenem organischen Material reiche, dunkle Schichten auf. Wie Analysen ergaben, handelte es sich um Faulschlamm (Sapropel), der sich nur unter ganz bestimmten Bedingungen bildet. Die Zentimeter bis Dezimeter mächtigen Sedimentlagen waren alle in Abständen von etwa 20.000 Jahren entstanden.

Schlussfolgerung der Forscher: Periodische Schwankungen der Erdbahn führten zu einer erhöhten Sonneneinstrahlung und damit zu einem wärmeren, feuchteren Klima. Infolgedessen transportierten die Flüsse nicht nur mehr Wasser, sondern auch Nährstoffe, die es Meereskleinstlebewesen gestatteten, sich explosionsartig zu vermehren. Die abgestorbenen Organismen sanken auf den Meeresboden und wurden unter Sauerstoffverbrauch abgebaut. Als der Sauerstoff aufgebraucht war, setzten Fäulnisprozesse ein, die Schwefelwasserstoff (H2S) freisetzten.

Verpestet wurde das Meer allmählich durch die Anreicherung des Wassers mit H2S bis nahe der Oberfläche. Die Beweise dafür fanden der Geochemiker Michael Böttcher vom "Institut für Chemie und Biologie des Meeres" der Universität Oldenburg und seine niederländischen Kollegen in den dunkelgrauen bis schwarzen Sedimentlagen: Fossilien von Grünen Schwefelbakterien (Chlorobiaceae). Denn diese Mikroben benötigen nicht nur Schwefelwasserstoff zum Leben, sondern auch Licht, müssen also in den oberen, lichtdurchfluteten Schichten existiert haben. Auch die Gehalte an Pyrit und Spurenelementen in den Bohrkernen gelten als Belege dafür, dass das Wasser bis obenhin mit Schwefelwasserstoff vergiftet war.

Für die Geowissenschaftler ergibt sich daraus ein überraschender Schluss: Entgegen der bisherigen Meinung, Fäulnisprozesse im Wasser könnten nur unter "stagnierenden Bedingungen" ablaufen - dann, wenn es keinen Wasser- und Sauerstoffaustausch zwischen oben und unten gibt - zeigen jene Vorgänge im Mittelmeer, dass ein Gewässer trotz bestehender Wasserzirkulation umkippen, sich der Sauerstoff verbrauchen und Schwefelwasserstoff bilden kann.