Die Entdeckung des Zufalls

Unvorstellbar, unverstanden, unvergessen: Vor 100 Jahren legte Max Planck den Grundstein der Quantenphysik - und revolutionierte indirekt die Welt.

Berlin - Kaum ein Haushalt kommt heute ohne sie aus. Ob Mikrowelle, Funkwecker, Computer oder Neonröhre: Im Alltag greifen die Menschen regelmäßig auf die Effekte aus der Quantenphysik zurück - in der Regel allerdings, ohne es zu merken. Das ist auch gut so. Denn das, was vor genau 100 Jahren in Berlin seinen Anfang nahm, hat abgesehen von einem kleinen Spezialistenkreis wohl so gut wie niemand richtig verstanden.

Als der Max Planck am 14. Dezember 1900 vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft seine Formel präsentierte, kam das einer Revolution in der Wissenschaft gleich: Der Physiker brach mit der Vorstellung, Energie könne in beliebig kleinen Mengen abgegeben werden.

Stattdessen führte Planck mit seinem Wirkungsquantum kleinste Energiepakete in die Physik ein. Die daraus resultierende Berechnung konnte erstmals die Beobachtungen der Wärmestrahlung perfekt beschreiben. Die Quantenphysik war geboren.

Die Tragweite des Quantenkonzepts war anfangs weder Planck noch seinen Physikerkollegen in vollem Umfang klar. Die Formel erklärte zwar bestimmte Messergebnisse, war jedoch mit den bis dahin erfolgreichen, aber zum Teil ungenügenden physikalischen Theorien nicht vereinbar.

Ungeliebte Formel

Jahrelang hat Planck das nicht erreichbare Ziel verfolgt, die Quantentheorie mit der klassischen Physik zu versöhnen. Letztlich akzeptierte er nur widerwillig die Konsequenzen, die sich aus seiner berühmten Strahlungsformel ergaben. Denn er musste hinnehmen, dass sich einige Vorgänge in der Natur nicht berechnen lassen.

Heute leben wir in einer weitgehend von der Quantentechnik bestimmten Welt. Allein die gesamte Mikroelektronik ist ohne die Quantentheorie undenkbar, weil sie auf dem Verständnis der Atome aufbaut. Und das kam erst mit dem Quantenkonzept in die Physik.

Jeder, der einen CD-Spieler besitzt, ist mit dem dort eingebauten Halbleiterlaser Eigentümer eines modernen Quantengeräts, sagt Klaus von Klitzing. Der Physiker hat selbst ganz direkt von der Planck'schen Theorie profitiert: 1985 wurde er für die Entdeckung des so genannten Quanten-Hall-Effekts mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.

Das zunächst als Notbehelf in der Grundlagenforschung geborene Quantenkonzept hat sich als Grundstein für globale Multi-Milliarden-Märkte entpuppt. Von einer Vielzahl von Forschern weiterentwickelt, hat die Quantenphysik aber nicht nur den Alltag der Menschen angenehmer gemacht. Sie brachte etwa mit Elektronenmikroskopen, Massenspektrometern und Kernspintomographen auch völlig neue Einblicke in Chemie, Medizin und Biologie.

So wäre auch der gegenwärtige Boom in der Biotechnologie ohne die Quantenphysik nicht möglich. Dort steht nach Ansicht des Berliner Molekularbiologen Jens Reich eine vergleichbare Revolution noch bevor. Die durch die Quantenphysik erklärten Gesetze sind zwar die Grundlage biologischer Elementarphänomene, aber die Quantenphysik kann keine Detailtheorie liefern, weil biologische Systeme zu komplex sind.

Das Ende des Determinismus

Plancks Entdeckung hatte auch weit reichende philosophische Konsequenzen. Denn die Erkenntnis, dass nicht alle Dinge in der Natur vorhersagbar sind, beschäftigte auch die Philosophen: Vor 100 Jahren hat in der eigentlich deterministisch aufgebauten Naturwissenschaft Physik der Zufall Einzug gehalten.

Drastische Auswirkungen hat die Quantenphysik auf unser Weltbild. So wie die Relativitätstheorie die Idee von Raum und Zeit veränderte, hat die Quantentheorie den Materiebegriff umgewandelt, sagt Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Materie besitzt danach Welleneigenschaften wie die Strahlung, und Licht kann sich wie einzelne Teilchen verhalten.

Dieser Teilchen-Welle-Dualismus ist die Basis für die Existenz von Materie, ohne ihn gäbe es keine Molekülbindungen und keine stabilen Atome, sagt von Klitzing. Das bedeutet, unsere Welt würde ohne die Gesetze der Quantenphysik gar nicht existieren. Es gäbe weder die Erde, noch die Sonne oder andere Sterne.

Renn ist auch ein Jahrhundert nach der Entdeckung sicher: Philosophisch ist die Quantentheorie noch gar nicht verstanden.