Chaos lenkt die Mondraketen besser

Mathematiker haben einen neuen, Treibstoff sparenden Weg zun Erdtrabanten ermittelt

"Zugegeben, für Passagiere dauert es ein bißchen lang", meint James Meiss, "aber für Frachtflüge sollten zwei Jahre kein Problem sein." So lange wird ein Flug von der Erde zum Mond dauern, wenn das Raumschiff auf einer Strecke fliegt, die der Mathematiker von der University of Colorado in Boulder und sein Kollege Erik Bollt ausgetüftelt haben. Nicht mehr auf dem üblichen Wege sollen Raumfahrzeuge den Erdtrabanten ansteuern, sondern auf Umwegen. Vorteil: Die Rakete verbraucht fast 50 Prozent weniger Treibstoff und kann so 83 Prozent mehr Fracht transportieren. Bisherige Mondexpeditionen, wie etwa die des Apollo-Programms, flogen auf der sogenannten Hohmann-Bahn : Dabei wird das Raumschiff zunächst auf eine Erdumlaufbahn geschossen und dort geparkt. Eine zweite Beschleunigung-Geschwindigkeitszuwachs rund 800 Meter pro Sekunde - katapultiert es in Richtung Mond. Eine dritte Zündung der Raketenmotoren, in der Nähe des Erdtrabanten, bremst das Raumschiff dann um etwa 400 Meter pro Sekunde ab, damit es auf die gewünschte Umlaufbahn um den Mond einschwenken kann und nicht weit in den Weltraum hinaus getrieben wird. Die Hohmann-Bahn ist zwar nicht der schnellste Weg zum Mond, galt aber bisher als der am meisten Treibstoff sparende Übergang zwischen zwei Umlaufbahnen. Bollt und Meiss fragten sich, ob nicht der Treibstoffverbrauch etwa durch Verringerung der zum Abbremsen des Raumschiffes benötigten Energie zu reduzieren sei. Mit Computerhilfe machten sie sich auf die Suche nach einer Bahn, auf der das Raumschiff quasi wie von selbst auf die gewünschte Mondumlaufbahn einschwenkt. Mit Hilfe der Chaostheorie fanden sie die Lösung: Das Gefährt wird, wie bei den Apollo-Flügen , zunächst auf einer Erdumlaufbahn geparkt. Von dort aber wird es mit einem Geschwindigkeitszuwachs von 740 Metern pro Sekunde auf eine weiträumigere Erdumlaufbahn geschossen, die durch den Lagrange-Punkt L2 führt - jenen Bereich auf der Verbindungslinie zwischen Erde und Mond, wo sich deren Anziehungskräfte gerade aufheben. Diese Bahn - ihr Abstand von der Erde beträgt etwa 90 Prozent des gesamten Erde-Mond-Abstandes - ist eine chaotische Bahn. Das heißt: Wie bei allen chaotischen Prozessen - kleine Ursache, große Wirkung - kann eine geringe Änderung der Kräfte auf das Raumfahrzeug dessen Bewegung stark verändern. Jedesmal, wenn das Raumschiff in die Nähe des Mondes gelangt, erhält es einen kleinen "Schubs". Irgendwann hat es die richtige Geschwindigkeit und die richtige Position, um vom Gravitationsfeld des Mondes eingefangen und auf die gewünschte Mondumlaufbahn gelenkt zu werden. Überließe man das Raumschiff dem freien Spiel der Gravitation von Erde und Mond, so käme es laut Computermodell erst in etwa 10 000 Jahren ans Ziel - zu lange selbst für Frachtflüge. Also berechneten Bollt und Meiss den günstigsten Moment für einen Extraschub aus den Raketenmotoren, um das Chaos ein wenig zu lenken. Ergebnis: Nach 58 chaotischen Erdumrundungen reicht eine Geschwindigkeitsänderung von wenigen Metern pro Sekunde, um das Schiff sanft in die gewünschte Mondumlaufbahn übergleiten zu lassen. Dazu ist etwa nur ein Hundertstel der Schubkraft nötig, mit der Raumfahrzeuge früher in die Mond-Umlaufbahn "hineingebremst" worden sind.