Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

vergessen wir also die vergangene Woche. Nein, vor gröberen Skandalen blieben wir verschont, allerdings auch von der Börse insgesamt - beziehungsweise von nennenswerten Geschäften am Wiener Aktienmarkt. Mit anderen Worten: Im November herrschte bisher Flaute an der Wiener Börse. Das Peinliche daran: Es fällt langsam auf. In den Tageszeitungen häufen sich Berichte und in jüngster Zeit sogar Kommentare über das schwache Geschäft am Schottenring.

Auch die Beurteilung der kürzlich vorgestellten Reformpläne, beispielsweise der Umwandlung der Börse in eine AG und die Zusammenfassung von Kassa- und Derivativenmarkt unter einem wirtschaftlichen Dach, stößt auf geteilte Aufnahme. Die Kommentatoren der Massenmedien sind jedenfalls nicht restlich davon überzeugt, daß die angekündigten Maßnahmen zum gewünschten Erfolg, nämlich der Belebung der Börse, führen werden.

Einen weiteren Tiefschlag erhielt der Marktplatz Wien durch den Börsegang des Kärntner Hochtechnologieunternehmens SEZ. SEZ ist nämlich, wie von uns vor zwei Wochen berichtet, nicht an die Wiener Börse gegangen, sondern nach Zürich. Wenn man ein wenig nachdenkt, fallen einem dazu sicher recht gefällige Ausreden ein, aber in Wirklichkeit ist es natürlich eine Schande, daß ein (noch dazu in einem sehr interessanten Bereich tätiges) österreichisches Unternehmen im Ausland an die Börse geht. Leider steht zu befürchten, daß SEZ kein Einzelfall bleiben wird, wenn den für die Wirtschaftspolitik Verantwortlichen nicht bald einfällt, wie man die Börse beleben kann.

Nach wie vor muß man in diesem Zusammenhang allerdings die Frage stellen, ob nicht die Abschaffung der Anonymität hauptverantwortlich für die derzeitige Katastrophe an der Börse ist. Unabhängig davon, ob diese Abschaffung von der EU gefordert wurde und auf normalen Märkten kein Problem darstellen würde - die Politiker haben sich damit eindeutig über den Wählerwillen hinweggesetzt. Das ergab eine Umfrage des Austria Börsenbrief ja ganz klar, und es wurde seither nichts unternommen, um wenigstens den lächerlichen Schutz des Bankgeheimnisses zu verbessern.

Solange es den Verantwortlichen (den Politikern) offenbar völlig egal ist, was die Betroffenen (die Anleger) denken, wird es an der Börse kaum zu einer dauerhaften Belebung kommen.

Daran wird auch die jetzt geplante Einführung der sogenannten "kleinen AG” nichts ändern. Diese spezielle Konstruktion soll kleineren - in österreichischen Dimensionen mittelgroßen - Unternehmen den Zutritt zum Kapitalmarkt erleichtern. Mit der Börse hat das hoffentlich nichts zu tun, denn nicht einmal alle derzeit notierten größeren Unternehmen entsprechen den Vorstellungen, die sich ein Durchschnittsanleger von der Öffentlichkeitsarbeit eines mitteleuropäischen Unternehmens macht.

Einzige, aber immerhin recht handfeste Hoffnung: Nach jüngsten Bankprognosen werden die Gewinne der börsennotierten Unternehmen in den kommenden Jahren steigen. Wenn das eine ausreichende Zahl von Anlegern zur Kenntnis nimmt, könnte das zu einem recht kräftigen Aufschwung führen.

Franz C. Bauer


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